Am 21.6.2025 startet wieder ein Kurs zum Facrereading (15 h).
Dieser Blogbeitrag ist erschienen am 1.6.2025 als Teil des Newsletters zum Thema "Familienstellen".
Du kannst den Newsletter bestellen per Mail an newsletter@mitte-intuition.de.
Schon ist mein Blick am Hügel, dem besonnten,
dem Wege, den ich kaum begann, voran.
So fasst uns das, was wir nicht fassen konnten,
voller Erscheinung, aus der Ferne an—
und wandelt uns, auch wenn wirs nicht erreichen,
in jenes, das wir, kaum es ahnend, sind;
ein Zeichen weht, erwidernd unserm Zeichen …
Wir aber spüren nur den Gegenwind.
Rainer Maria Rilke, "Spaziergang"
Nach wohl richtiger Sichtweise sind Zeichen (also Symbole) die Schnittstelle zwischen Bewusstsein und Unbewusstem.
Damit ist das Wesentliche gesagt. Beim Familienstellen arbeite ich mit Symbolen. Diese Symbole mache ich nicht, sondern ich nehme sie wahr. Familienstellen ist für mich eine fantastische Quelle von Symbolen des Unterbewussten meines Klienten.
Hierzu einige Erläuterungen:
Fangen wir doch an mit dem Begriff des Symbols.
„Symbol“ verstehe ich ganz allgemein als Zeichen. Es kann ein Gefühl sein, ein Bild, eine Metapher, eine Assoziation. Wenn ich das bekomme, schaue ich mir bewusst an, was sich gerade entwickelt in der Aufstellung.
Ein Beispiel für so ein Gefühl hatte ich in dem Newsletter vom Mai 2025 erwähnt: In der dort geschilderten Aufstellung hatte ich das Gefühl, dass es um „Männer“ geht in der Aufstellung, und auch wenn es zu kurz gegriffen sein muss, eine Feststellung dazu zu treffen, würde ich doch sagen, dass dieses Gefühl „richtig“ war. Denn es hat sich eine kraftvolle und hoffentlich wirksame Aufstellung ergeben aus diesem Gefühl (ich habe den Archetyp des Männlichen aufgestellt).
Bildquelle: Freepik
Dann ist beim Familienstellen noch die phänomenologische Sichtweise wichtig. Wir wissen, was ein Phänomen ist: Ein Erscheinungsbild.
In der Umgangssprache finden wir etwas phänomenal, wenn es uns besonders (gut) erscheint. Es schwingt also bei dem Begriff ein bisschen mit, dass das, was erscheint, positiv abweicht von dem, was wir erwartet haben.
Im Familienstellen allerdings ist Phänomenologie 1. nicht beschränkt auf positive Erscheinungen und 2. nach Bert Hellinger ein bisschen mehr dem Prinzip der Absichtslosigkeit, das wir aus dem Zen kennen, entlehnt.
„…wenn wir während des ausgreifenden Bemühens innehalten und den Blick nicht mehr auf ein bestimmtes Fassbares, sondern auf ein Ganzes richten (entsteht etwas). Der Blick ist also bereit, das Viele vor ihm gleichzeitig aufzunehmen. Wenn wir uns auf diese Bewegung einlassen, (…) merken wir, wie unser Blick zugleich füllig wird und leer. Denn sich der Fülle auszusetzen und sie aushalten kann man nur, wenn man zunächst vom Einzelnen absieht. Dabei halten wir in der ausgreifenden Bewegung inne und ziehen uns etwas zurück, bis wir jene Leere erreichen, die der Fülle und Vielfalt standhalten kann. Diese zuerst innehaltende und dann sich zurücknehmende Bewegung nenne ich phänomenologisch.“
Bert Hellinger, Ordnungen der Liebe (S. 20)
So ähnlich klingt es auch im Zen: Achtsamkeit ist das urteilslose Wahrnehmen.
Entleere deinen Geist und tauche tief ins Tao ein.
Aus dem Zen-Buddhismus (Inschrift auf einer Faltwand im Nanzen-Ji-Temple in Kyoto)
Das Zen entstand im 5. Jahrhundert in China aus Meditationsbuddhismus und Taoismus. Das „Sich-Leermachen“ spiegelt einen Aspekt des Taoismus wieder.
Ich kenne es auch aus der schamanischen Arbeit: Wir Neo-Schamanen an der Samuel-Hahnemann-Schule hatten vor den Sprechstunden immer einige Übungen gemacht, um geerdet zu sein und offen für Heilung. Meine Lehrerin Heidi Baatz begleitete das mit den Worten: „Wir machen uns frei von Wissen, frei von Vermutungen und Einschätzungen. Wir begeben uns in den Raum des Nichtwissens, einem heiligen Raum, hinein, raus aus unserem Alltag, hinein in die Heilung.“
So jedenfalls meine Erinnerung.
Die Arbeit mit Symbolen bedeutet für mich, dass das Feld an sich bereits ein Symbol ist. Wir sagen oft: "Bild der Seele". Die Stellvertreter und ihre Anordnung im Raum sind eine Art „Übersetzung“ des Unbewussten des Klienten.
Nach meiner Erfahrung gibt es nicht nur diese eine Darstellung, sondern der Ausdruck des Seelenbildes durch das Feld kann durch sehr unterschiedliche Formen stattfinden. Eine Freundin von mir sagte, dass jeder Stellvertreter das, was er im System repräsentiert, auf seine Art darstellt. Wir haben alle in unseren Stellvertreterrollen einen Anknüpfungspunkt an das Thema und an das konkrete Familiensystem des Klienten. Manchmal fühlt man sich in der Rolle so „zu Hause“, als würde man in seinem eigenen System unterwegs sein. Das ist kein Zufall!
Und aus dieser eigenen Kenntnis der Energie, um die es geht bei der Stellvertreterrolle, können wir dann erstaunlich genau Dinge formulieren, Gefühle wahrnehmen und Bewegungen im Feld umsetzen, die dem Klienten etwas „sagen“ – denn im Grunde machen wir als Stellvertreter eine kleine Aufstellung in unserem eigenen System.
Also triggern die vom Klienten geäußerten Themen - und vielleicht auch ein bisschen „Hilfe des Himmels“ - in uns Wissen, das wir eigentlich nicht haben können, aber dennoch passend in unserem eigenen Leben wiederfinden und so präsentieren können.
Symbole finden wir vielfältig beim Familienstellen: Wenn der Stellvertreter ein Symbol wahrnimmt – zum Beispiel bekommt er eine Gänsehaut, wenn er hört, der Mutter des Klienten sei das Kind „zuviel“ gewesen - , dann ist das Symbol dieser psychosomatischen Reaktion ein Hinweis auf Angst und / oder Rührung. Frage ich ihn dann als Aufstellungsleiter: „Wie geht es dir, wenn du das hörst?“, dann bemüht sich der Stellvertreter meist darum, das Gefühl zu beschreiben. Anschließend kommen aber auch Assoziationen, die dem Stellvertreter vielleicht ohne Sinn erscheinen, aber für den Klienten sehr hilfreich sein können: „Ich war das zweite Kind. Seit mein jüngerer Bruder / meine jüngere Schwester auf die Welt gekommen ist, hatte ich das Gefühl, meine Mutter hatte keine Zeit mehr für mich.“
Die Auslegung von Symbolen ist übrigens eher meine Tätigkeit als Aufstellungsleiterin. Ich bin immer sehr darum bemüht, dass Stellvertreter die Assoziationen, die ja oft auch Deutungen und Orakel enthalten, nicht direkt ins Feld sagen. Sondern sie sollen es mir sagen. Wenn ich meine, dass die Deutung oder Aussage des Stellvertreters nicht nur aus der Sphäre stammt, in die wir als Stellvertreter ja gleichzeitig auch immer eintauchen – nämlich aus dem eigenen Familiensystem, aus dem eigenen Thema, dann lasse ich die Aussage laut aussprechen oder wiederhole, was der Stellvertreter angemerkt hat.
Natürlich ist nichts von dem, was der Stellvertreter sagt oder was ich mir dazu denke, eine Auslegung mit einer glasklaren Mitteilung. Wir sind keine seelischen Wetterfrösche, die im Feld hellseherisch das seelische Klima anzeigen. Und doch fühlt der Klient bei einer wirksamen Aufstellung, dass das Gesagte wahr ist.
Dazu noch einmal Hellinger:
(Wer die) Ordnungen (erfasst), (kann) an sich selbst erfahren, dass die lösende und heilende Einsicht rein aus dem gesammelten Schauen wie ein Blitz aus dem Dunkel plötzlich blendet und trifft.
Bert Hellinger, Ordnungen der Liebe, S. 17