Am 21.6.2025 startet wieder ein Kurs zum Facrereading (15 h).
Beim Familienstellen gibt es die einfache Möglichkeit, unvorbereitet, unverkopft und wie von selbst Kontakt mit dem eigenen Unterbewusstsein aufzunehmen und damit zu arbeiten. Wie das?
Verwirrung ist das Eingangstor zur Klarheit.
Jorge Bucay
Nach Hellinger entsteht in der Gruppe, die die Aufstellungen macht, ein „wissendes Feld“. Einer meiner Lehrer, Peter Orban, hat mir gezeigt, dass das „Feld“ nicht nur das für das Familienstellen so sonderbare „Wissen“ beinhaltet, nachdem die Stellvertreter Formulierungen oder Verhaltensweisen, auch Schmerzen und Symptome von Krankheiten spüren und zum Ausdruck bringen. Sondern das „Feld“ ist eine große Gnade, ein Zustand, in dem die ganze Gruppe sich einklinkt in das Familiensystem des Klienten - auf seelischer Ebene.
Natürlich ist das nur eine grobe Formulierung. Ich habe nicht erklärt, was „seelisch“ genau bedeutet, auch nicht, was „Einklinken“ ist und vielleicht weiß nicht jeder, was ein „Stellvertreter“ im Familienstellen ist und was genau der Begriff „Familiensystem“ meint.
Der Verstand schafft die Wahrheit nicht, sondern er findet sie vor.
Augustinus
Aber zum Glück braucht man nicht alles zu verstehen. Gewiss ist: Wer am Familienaufstellen teilnimmt, egal, ob er als Stellvertreter, Zuschauer oder als Klient dabei ist, der gehört gefühlsmäßig mit allen Anwesenden zu einer Sphäre, in der sich etwas wahrnehmen lässt, was uns sonst nicht bewusst ist.
Wenig wird von Hellinger oder anderen Aufstellern gesagt zum Thema des Unbewussten. Und sogar mein lieber Lehrer Peter Orban ist ohnehin weit davon abgekommen, Rezepte und Erklärungen zu bemühen. Aber: Wer einen Kopf hat, kann ich auch benutzen. Das ist nicht hilfreich für die Arbeit des Familienstellens an sich, aber - wie ein anderer Lehrer von mir, Andreas Krüger, immer am Ende einer Aufstellung sagt: „Und weiter geht’s im echten Leben!“ - zum Verarbeiten und „Verdauen“ von Erfahrungen mit dem Feld ist es gut und angemessen, den lebenslangen Kontakt zum Unbewussten einmal genauer zu betrachten.
Und weiter geht’s im echten Leben!
Andreas Krüger
C. G. Jung und andere Psychologen gehen davon aus, dass unsere Ratio, also unser bewusster Verstand, nur ein Bruchteil dessen ausmacht, was das Gehirn prozessiert an Gedanken und Wahrnehmungen.
Wie genau dann das Gehirn sich Dinge einteilt als „wichtig“ oder „unwichtig“ und uns dementsprechend bewusst macht oder ins Vergessen absinken lässt, darüber kann man viel lesen. Aber man kann so nicht damit arbeiten als Therapeut.
Gangbare Wege, das Unbewusste ins Bewusstsein zu rücken, sind seit Beginn der Psychotherapie (unter Sigmund Freud) das Wesentliche, da grundsätzlich nur das, was der Patient weiß, auch von ihm bewusst bearbeitet werden kann.
Natürlich kann ein Hypnotiseur (und Freud war ein Hypnotherapeut…), aber auch grundsätzlich jeder von uns aus dem Verhalten, aus der Sprache, der Wortwahl, der Stimme, also anhand von unbewussten Symptomen, die ein Therapeut eben erkennen und berücksichtigen muss, auch direkt mit dem Unbewussten arbeiten.
Das Unbewusste beinhaltet nämlich nicht nur das, was das Gehirn ins Vergessen hat sinken lassen, sondern auch alles, was unbedingt gelöscht werden musste im Bewusstsein. Und diese Erlebnisse bestimmen unser Leben viel mehr, als wir es möchten, denn oft sind ungelöste Probleme, Traumata und Irrtümer in der Not der direkten Erfahrung ins Unbewusste verdrängt worden und bestimmen von dort aus unser Leben.
Die Alchemisten haben schon immer die Wandlung des Menschen im Blick gehabt. Das sogenannte „Große Werk“, die „Große Arbeit“ ist nur in eher lächerlichen Fällen die Umwandlung unedler Metalle wie zB. Blei in edle Metalle - Gold - gewesen, sondern die Alchemisten haben in Wahrheit schon immer mit Metaphern und Symbolen gearbeitet und hatten eher die Wandlung des „unedlen“ - weil sich seiner Probleme und belastenden Themen unbewussten - Menschen in einen freieren und gewandelten, ja erlösten Menschen im Sinn.
Das „Gold“ der Alchemisten war ein Mensch, der seine Nöte und Ängste nicht nur kannte, sondern akzeptiert und als Anlass für eine innere Verwandlung genommen hat. Nur nach langen und vielfach für uns bis heute unerklärlich scheinenden Prozessen kam dann aus einem Adepten ein Meister heraus.
Oder wir nehmen die Yogis. Oder Buddha. Alle, die etwas in sich verändern möchten, arbeiten mit dem Unbewussten. Wäre es ihnen bewusst und würde nicht an allem, was uns bewusst ist, noch so viel Verbindungen zu dem Unbewussten hängen, dann könnten wir uns höchstwahrscheinlich mit Ratio und ein bisschen Verhaltenstherapie prima helfen.
Das Unbewusste ist also der „Pool“ von Erfahrungen, die nicht nur wir selbst in unserem Leben gemacht haben, sondern die wir auch systemisch „aufgenommen“ haben. Es ist bekannt, dass wir Glaubenssätze und Lebenseinstellungen unserer „Peergroup“ und natürlich unseres Elternhauses übernehmen. Was viele aber nicht wissen, ist, dass wir auch die Traumata vergangener Generationen in uns tragen und - solange sie uns unbewusst sind - als Belastung bis heute spüren. C. G. Jung nennt die Traumata, die übergreifend nicht nur Einzelpersonen, sondern Gruppen oder Nationen erlitten haben, „Archetypen“.
Das Unbewusste ist natürlich nicht nur ein Horrorkabinett. Wir leben in einer modernen Welt, das Unbewusste stört uns da aber leider oft. Solange wir es nicht akzeptieren und nicht lernen, damit umzugehen und mit Hilfe des Unbewussten zu wachsen und unsere Themen „zu erlösen“.
In früherer Zeit waren die Träume und die anderen - wahrscheinlich viel deutlicher wahrnehmbaren - Symbole und Auswüchse des Unbewussten akzeptierter als heute. Heute hat sich eine Art Wissenschafts-Glaube - ähnlich einer religiösen Grundhaltung - etabliert. Was nicht wissenschaftlich ist, wird nicht ernst genommen. Das hat uns zu funktionalen Menschen werden lassen, die einen immer weiteren Weg zu ihrem Inneren bewältigen müssen.
Dennoch besteht kaum Anlass zu Neid oder Wehmut, niemand von uns muss sich eine „heile Welt“ herbeiwünschen mit indigenen Völkern und ihren Riten oder anderen vermeintlichen Direktzugängen zu unserem Inneren oder gar zu unserer Seele.
Denn auch heute befindet sich jeder - gerade die, die glauben, sie seien frei von „Humbug“ und objektiv, sogar sich selbst gegenüber ganz objektiv - in einer Trance. Oder besser gesagt: In vielen Trancen. Es gibt dafür das Beispiel des Bewusstseins, das in einer Unterhaltung, die die Insassen eines Autos führen, vollkommen bei dem Gespräch liegen kann, aber der Fahrer dennoch - quasi nebenbei - das Auto sicher fährt. Dieses Beispiel einer Art ausgelagerten Aufmerksamkeit ist vergleichbar mit vielen Situationen, von Tagträumen angefangen über die kürzesten Trancen, die es gibt: Eingebungen, Halluzinationen, oder Missverständnisse. Um sich einmal in angenehmer und dennoch extrem produktiver Weise mit dem Thema „Trancezustände“ zu beschäftigen, empfehle ich Chris Mulzer und seine Workshops.
Beim Familienstellen nun besteht eine Art Trance - die Teilnehmer haben alle ihre Aufmerksamkeit auf das Geschehen im Feld gerichtet. Und da tut sich wirklich etwas! In einer Trance ist Heilung möglich, aber nicht nur nach einem schulmedizinischen Weltbild, wo Hypnose oder Trance irgendwie gut ist zur Suchtbehandlung (Raucherentwöhung) oder bei der Schmerzbehandlung. Dort spielen sich kleine Veränderungen ab, in jeder Trance, und wir dürfen das wahrnehmen und spüren.
Eine gute Trance hat viel mehr verändert und in Gang gebracht, als wir jedoch mit unserem Bewusstsein verstanden zu haben glauben. Und das tut auch das Familienstellen: Es werden Energien (Verbindungen zwischen Familienangehörigen, die Hellingen „Ordnungen der Liebe“ genannt hat) sichtbar oder besser: spürbar. Es kann Hinderliches geheilt werden, und der Klient kann spüren und echte Rückmeldung geben, ob die Aufstellung etwas verändert hat - und er tut das auch während der Aufstellung die ganze Zeit!
Anders als jedes Trance sonst ist aber das Familienstellen eine sehr genaue Anfrage an das Unbewusste des Klienten, was seine Probleme sind und wo er in Wahrheit Kraft und - wie Hellingen schon richtig sagte - Liebe findet.
Trance arbeitet mit Bildern. Wir assoziieren in jeder Symbolik einige Themen und könn(t)en darüber auch Worte verlieren. Beim Familienstellen aber muss und sollte nicht darüber gesprochen werden. Unbewusstes, das sich zeigt, ist oft komplexer und entstammt anderen Wirklichkeiten. Unsere Sprache aber ist für die Bewältigung der „realen Welt“ gedacht und gemacht.
Also: „Weiter geht’s im wahren Leben“ ist genau richtig.
Viele Schamanen suchen zu Beginn ihrer schamanischen Arbeit, wenn also der Klient erscheint und die Behandlung oder Zeremonie beginnen soll, den „Raum des Nichtwissens“ auf. Sie lassen also nicht nur ihren Intellekt, ihre Erfahrungen mit anderen Klienten und alle irdischen eigenen Themen zurück, sondern sie verlassen sich auf das, was noch nicht da ist.
Andere nennen diesen Raum das „Numinose“, die Religionen der Welt verstehen ihn als eine Verbindung zu Gott und wir modernen Menschen kennen ihn nur als Verwirrung.
In not knowing what to do, it's doing what you know.
Antony Robbins
Wer in seinem Leben nie Vertrauen gelernt hat in Dinge, die er nicht versteht, kann nur mit Abwehr reagieren auf das Nichtverstehen. Keinesfalls kennt ein solcher Mensch das Nichtverstehen als finalen Zustand und auch nicht als heilenden Raum. Nichtverstehen oder Verwirrung ist - weil es bewertet werden muss von einem rationalen Denker - eine Art Versagen, ein Nichts. In einer polaren Welt gibt es nur die Conclusio, alles andere ist eine Art Arbeit oder Lernen, aber die Wahrnehmung selbst - ohne jede Erklärung - ist eigentlich Nichts. Allenfalls ist es ein Irrtum, etwas, das sich nicht einordnen lässt und von dem man besser die Finger lässt.
Forscher haben sich schon immer auf das Gebiet der „terra inkognito“ hinaustraut. Früher reichten die Karten nicht so weit, dass die gesamte Oberfläche der Erde abgebildet war. An den Stellen, wo alle Karten endeten oder „weiß“ waren, war "terra inkognita“. Wer als Seefahrer in Gewässer musste, die dort lagen, rechnete mit Ungeheuern und Naturgewalten der übelsten Art. Wer als Wissenschaftler ein Thema bearbeitete, das unerforscht war, musste ebenfalls mit Gegenwind und Unterständnis rechnen, ja sogar damit, lächerlich gemacht zu werden, also den beruflichen Tod zu erleiden, weil er etwas nicht beweisen konnte oder sich sonst in Widersprüche verwickelte auf dem Weg zur Gewissheit.
Im Coaching ist übrigens das Nichtverstehen eine sehr fruchtbare Art und Weise, Fehler aufzudecken. Wir glauben oft, mit unserem Wissen und unserer Erfahrung alles irgendwie verstanden zu haben. Ein Coach aber kann sich auf die Position zurückziehen, in der er alles nochmal nachfragt. Ein wenig ist das wie die Wissenschaft ja bis heute funktioniert: Etwas gilt als erwiesen, wenn ein Versuchsergebnis und die daraus folgende Conclusio (Schlussfolgerung) wissenschaftlich und reproduzierbar erwiesen ist. Aber erwiesen ist etwas nur solange, bis das Gegenteil bewiesen wurde.
Eine ehrliche Wissenschaft ist also immer im Fluss. Im Prinzip wissen wir das. Was heute noch als schädlich gilt, könnte in 20 oder 30 Jahren erwiesenermaßen als harmlos gelten. Oder umgekehrt.
Erkenntnis ist nicht unbedingt dasselbe wie Klarheit. Aber wannimmer wir Erkenntnis erlangen, haben wir vorher das Chaos, die Verwirrung erlebt. In diesem Sinne kann das Zitat von Bucay als verbindlich angesehen werden: Wir stehen vor einer Klarheit, einem Verstehen, einer gefühlten und damit für uns höchstpersönlich richtigen Wahrheit, wenn wir verwirrt sind.
An meiner Heilpraktikerschule hieß unsere Ausbildungszeit „alchemistischer Kochtopf“. Ähnlich wie die Hexen in einem gedachten Topf, dem Energie (Hitze) zugeführt wurde, Fantasiezutaten vermengten und dann dafür sorgten, dass der Klient es trank oder sonst irgendwie aufnahm (es gab ja auch Salben oder Hexensprüche…), so brauten auch die Alchemisten ein Gebräu. Da die Hexen ja auch Phytotherapie betrieben, ist hier noch etwas unklar, wie symbolisch ein Hexentopf nun im Einzelfall wirklich war. Aber bei den Alchemisten war die Phiole, das Reagenzglas, das hermetische Behältnis - von Scharlatanerie mal abgesehen - immer symbolisch gemeint.
Verwirrung ist dann sozusagen die Verbindung der polaren Gegensätze, die uns zu Heilung in dem Sinne verhelfen, dass wir aufhören zu leiden. Wir können, wenn wir eine Transformation erleben, noch nicht verstehen, was das Neue ist, das wir werden. Wir sehen auch die Welt - Spiegel unseres Selbst - plötzlich anders, können darin vereinsamen oder hysterische Angst verspüren. Wir lachen nicht mehr über dieselben Witze wie vorher und reden über andere Themen als je zuvor. Wir sind dazu noch ungeschlagen in diesen Themen und müssen uns trennen von aller Sicherheit und jeder bereits bekannten und erprobten Strategie, die in unserem Leben bisher vielleicht hilfreich war.
Anders als verwirrt kann man in diesem Prozess der inneren Veränderung nicht sein.
Aber dann kommt eine Klarheit, die uns hilft.