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Gewalt ist keine Lösung
Newsletter 06/2025
Am 21.6.2025 startet wieder ein Kurs zum Facrereading (15 h).
Newsletter 06/2025
Dieser Blogbeitrag ist erschienen am 1.6.2025 als Teil des Newsletters zum Thema "Familienstellen".
Du kannst den Newsletter bestellen per Mail an newsletter@mitte-intuition.de.
Gewalt ist keine Lösung. Das habe ich in meiner Jugend und auch in meiner Sturm-und-Drang-Zeit gehört und verinnerlicht. Aber ich habe eine gewalttätige Seite, und ich lebe sie ziemlich schnell und hitzig aus, wenn mich etwas wütend macht.
Manchmal, aber immer seltener.
Ich bin dankbar, dass die Homöopathie es dem Klienten erspart zu verstehen, welches Wirrwarr an Verdrängung, Selbsthass und verhaltener Aggressivität und Toxischsein nun eigentlich bei ihm vielleicht vorliegt. Es gibt einfach die „passenden“ Arzneimittel – zum Beispiel Staphisagria – und der „Deckel fliegt vom Topf“ und die aufgestauten Gefühle kommen raus.
Also: Gewalt gibt es, auch bei mir, ja und natürlich überall in der Welt. Und ich bin nicht der Dalai Lama.
Das Paradox des Strafens als „gute Gewalt“ gegenüber einem Schuldigen, der also „schlechte Gewalt“ angewendet hat, ist bei mir schon in der Schule Thema gewesen.
Mich interessiert Gewalt und Streit schon immer. Ich war ja früher Rechtsanwältin für Strafrecht. Von meinen Eltern her schien es wohl ganz wunderbar, dass ich diesen Beruf ergriffen hatte, wenn er nur nicht so „gefährlich“ wäre. Und wenn die Mandanten doch bitte keine Straftäter gewesen wären. Aber insgesamt ist es doch toll, wenn man Jura studiert hat – man weiß ja dann ganz viel und hat eigentlich häufiger Recht als andere Leute. So ungefähr war die Denke.
Als ich dann nach Berlin kam, wohnte ich in einmal in einer Wohngemeinschaft mit einer Kriminalkommissarin zusammen. Und so verständnisvoll und reflektiert sie auch war, die Frage, ob es gute und schlechte Gewalt gab, hatte aus ihrer Sicht eine klare Antwort: Ja!
Die Polizei und der Staat waren die Guten. Die anderen, zumindest die, die gerade im Fokus der Aufmerksamkeit der Strafverfolgung standen, waren die Schlechten.
Weil nach dem Unschuldsgrundsatz ein Ermittler nicht weiß, wer alles „schlechte Gewalt“ anwendet, ist es - wenn ich sie richtig verstanden habe - noch umso wichtiger, dass der Staat das sogenannte „Gewaltmonopol“ besitzt und sich tatkräftig zeigt. Gute Gewalt als Abschreckung von schlechter Gewalt also.
You may say I'm a dreamer
But I'm not the only one
I hope someday you'll join us
And the world will be as one.
John Lennon, "Imagine" (Song auf youtube)
In Familienaufstellungen gibt es kein „Gut“ und „Böse“.
Naja, so ganz stimmt das nicht: Der Klient und die Stellvertreter empfinden sehr wohl, was sie für gut und was sie für böse halten. Aber dieses Gefühl und dieses Urteil tritt in den Hintergrund im Laufe der Aufstellung, ja, es wandelt sich sogar. An seine Stelle tritt Akzeptanz dafür, dass die Vergangenheit so ist, wie sie eben ist.
Gewalt ist dann nie etwa Gutes, aber Gewalt ist im Familienstellen auch kein Hinderungsgrund für Versöhnung.
Zur Klarstellung:
Wenn in einer Aufstellungsarbeit eine Lösung gefunden wird, dann bedeutet das bei Thema „Gewalt“, dass das Opfer sich mit dem Täter versöhnt. Und dazu gehört nicht, dass es „Du-Botschaften“ gibt und dass der Täter etwas versprechen muss, auch muss er sich nicht für seine Gewalt entschuldigen oder Scham und Reue zeigen. Die Versöhnung findet nämlich nicht auf der Grundlage des Symptoms statt, sondern auf der Grundlage des „Sich-Sehens“. Gemeint ist: In der Aufstellungsarbeit nehmen sich die Stellvertreter wahr. Sie sehen dann das Schicksal des anderen, und Gewalt hat immer einen Grund (und ist damit eben dann irgendwie – seelisch gesehen – Schicksal).
Erfahrene Aufsteller können dann Lösungssätze aussprechen lassen, zB.: „Du bist mein Vater (oder: meine Mutter), ich bin dein Kind.“ Das lasse ich gerne von den Eltern umgekehrt wiederholen, denn jedesmal bei diesen Lösungssätzen „tut sich etwas“ beim Klienten, wenn die Sätze mit möglichst großer Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit gesagt werden. Und dann kann oft erst der gewalttätige Mensch den Klienten erkennnen.
Ich sehe dein Schicksal.
Lösungssatz (frei nach Bert Helllinger)
Gewalt hat im Familienstellen viele Gründe, und diese Gründe nennen wir im Familienstellen "Schicksal":
Fremdes Schicksal: Es kann sein, dass eine Art Übertragung stattgefunden hat. Nicht verarbeitetes Unrecht aus einer Gewalttat wird von einem jetzt lebenden Familienmitglied wahrgenommen und ist deshalb Thema einer Aufstellung.
Eigenes Schicksal: Die Gewalterfahrung kann auch im eigenen Leben stattgefunden haben. Zum Beispiel können Frauen Männer hassen und sowohl ihrem Mann gegenüber als auch ihren Söhnen gegenüber aggressiv auftreten, weil sie eigenes unbewältigtes Schicksal mit sich herumtragen (zB. Vergewaltigung oder Geschlagenwordensein).
Kollektives Unbewusstes / Schattenarbeit: Zum Beispiel können Männer wie besessen in Wut und Zorn leben und dabei den wirklichen Menschen verkennen, weil sie Irrtümern und falschen Selbstbildern folgen. Diese Klienten spüren die Gewalt in der Gesellschaft und müssen sie transzendieren.
In der Aufstellung kann man „kürzen“ und einfach Rückgaben machen (zB. kann die Frau, die selbst Opfer gewesen ist und nun Täterin geworden ist, ihr „Päkchen“ nehmen und versprechen, keine Unschuldigen mehr zu verletzen seelisch). Man kann auch die Gründe der Gewalt, wenn sie bekannt sind oder sich im Rahmen einer Aufstellung zeigen, heilen und sozusagen eine kleine mini Aufstellung in der eigentlichen Aufstellung einflechten. Dann ist der Täter, der ein Thema hatte, wieder in seiner Kraft und kann nun mitteilen, dass er jetzt erst wieder den anderen „sehen“ kann.
Polizei oder Bestrafung gibt es nicht im Familienstellen. Also könnte meine ehemalige WG-Mitbewohnerin oder sonst ein Vertreter des Staates uns beim Familienstellen nicht „helfen“.
Im Gegenteil: Wir können uns selbst helfen, werden endlich nicht mehr der geborene Pechvogel bleiben, der Unglück und Gewalt anzieht. Familienstellen macht aus jeder Verstrickung eine heilsame und stärkende Verbindung, auch wenn Gewalt im Spiel war ursprünglich.
Und in einer Familienaufstellung gibt es auch keine Bestrafung.
Es ist deshalb zu erwarten, dass die Gewalt endet nach der Aufstellung. Eine gute Aufstellung beendet es, dass wir in für uns schädliche Situationen hineingeraten. Es sei denn, das Problem hat noch weitere Facetten. Die werden sich aber nicht mehr in echten Gewalttaten zeigen. Nach meinen Erfahrungen mit der Aufstellungsarbeit kommen die Fingerzeige, dass ein Thema vielschichtiger ist und mit mehreren Aufstellungsarbeiten angegangen werden muss, milde. Aber man sollte handelnt und aufstellen. Das Schicksal kann auch wieder zuschlagen…!
Bildquelle: Freepik