Am 21.6.2025 startet wieder ein Kurs zum Facrereading (15 h).
Dieser Blogbeitrag ist erschienen am 1.5.2025 als Teil des Newsletters zum Thema "Familienstellen".
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Liebe ist die Energie aller Verbindungen im Familiensystem - auch bei Tätern und Opfern.
Der Monat Mai ist der „Wonnemonat“, so steht es in meinem Poesiealbum aus der 3. Klasse.
Liebe ist das schönste Gefühl und wenn der Frühling sich befreit hat aus der Kargheit und Kälte der Vormonate, denken wir Menschen eben an Liebe.
Es gibt bei Familienstellen keine Bedeutung des Monats an sich, aber wenn im Anamnesegespräch zu Beginn einer Aufstellung zur Sprache kommt, dass jemand sich regelmäßig in einer bestimmten Weise geäußert hat und dass das verdeutlich, welches Mindset und welches Gewicht diese Person im Familiensystem beinhaltet, dann würde zum Beispiel bei mir in Bezug auf meinen verstorbenen Onkel der Spruch mit dem Wonnemonat kommen. Ich habe nämlich im Mai Geburtstag, und auch wenn es etwas hölzern klingt, passt dann sicherlich dieses Gedicht:
Nie verlerne so zu lachen,
wie du jetzt lachst, froh und frei,
denn ein Leben ohne Lachen
ist ein Frühling ohne Mai.
unbekannter Verfasser
Zum Frühling gehört der Mai dazu, die Natur in ihrer Farbenpracht ist nie so bunt wie jetzt im Mai, überall gebären die Tiere ihre Jungen und es riecht wieder so gut, wenn der Wind geht, wir tragen wieder leichte Kleidung, spüren unseren Körper wieder mehr.
In der Liebe gibt es auch Hochphasen. Mein Vater, der Pastor war, hat die meisten Hochzeiten im Mai gehabt. „Die Leute wollen alle gern im Mai heiraten“, sagte er. Da ist „es nicht zu warm und nicht zu kalt.“
Wir ganzheitlich Denkenden haben oft eine Freude daran, Worte wörtlich zu verstehen. „Hoch-Zeit“ ist eben die höchste Zeit, das heißt die beste Zeit.
Und „Wonne-Monat“ ist übrigens aber nicht etwa ein Monat der Wonne, sondern der Monat, an dem im Jahr das Vieh wieder auf die Weide kann („Weide-Monat“). So zumindest die Recherche.
Nach meinem Verständnis ist der Monat Mai ein kraftvoller Monat. Und ich kenne den Monat irgendwie doch immer nur als den Monat der Wonne, also auch als die Zeit, in der man draußen sitzen kann und mit dem Liebsten anbändelt oder auch mal irgendwo zum Knutschen verschwinden kann.
Also kurz gesagt: Der Mai steht meist für das Verlliebtsein, also für die romantische und / oder sexuelle Liebe.
Die romantische Liebe gibt es wirklich. Ich selbst glaube fest daran, dass auch – vielleicht sogar gerade – die Paare, die nicht auf der Basis einer romantischen Liebe zusammengefunden haben, eine Chance für eine funktionierende und vielleicht sogar glückliche Beziehung haben. Wie die meisten Weltenbummler sehr gut wissen, ist das Denkkonstrukt der romantischen Liebe eine europäische Spezialität, die in anderen Teilen der Welt zwar großen Anklang gefunden hat, aber eben nicht die einzige Basis oder sogar gar keine Basis für Ehe und Beziehung darstellt.
Das Familienstellen zeigt das deutlich – und dennoch sind Beziehungen, die ernstgemeint sind (zum Beispiel eine Ehe) – tragfähige systemische Verbindungen.
Was ist also Liebe im Familienstellen? Laut Hellinger, dem Begründer des Familienstellens, sind alle Beziehungen zwischen den Mitgliedern eines Familiensystems Liebesbeziehungen. Hellinger hat eines seiner Bücher deshalb „Ordnungen der Liebe“ genannt. Es gibt also sogar zwischen Mitgliedern des Familiensystems, die gefühlsmäßig rein gar keine Liebe empfinden, eventuell eher Hass, eine Liebesbeziehung – aus familienstellerischer Sicht.
Als ich eine Aufstellung zu meinem Onkel bekam, wollte der Aufstellungsleiter mich motivieren. Ich fürchtete mich vor meinem Onkel, traute ihm einiges zu, was er mir angetan haben könnte, aber ich hatte keine Beweise und auch niemanden, der meine aus dem Unterbewussten hochgestiegenen Erinnerungen bestätigte. Ich war „völlig im Kopf“, denn ich bin der Wahrheit sehr verpflichtet und wollte definitiv meinen Onkel und auch sonst niemanden „schlecht machen“, auch nicht im geschützten Rahmen einer Aufstellung und unter der Verschwiegenheit aller Teilnehmer.
Der Leiter wollte mich also motivieren, und dazu musste ich aus meinem ewigen innerlichen Zwiegespräch rauskommen, ob ich das jetzt so machen durfte oder nicht.
Ich ärgerte mich sehr – ein Zeichen des Egos, wenn man sich in einer Aufstellung ärgert. Denn der Leiter sagte: „Siehst du, das ist gar kein böser Mensch. Du bist die Böse! Du sitzt hier rum und gehst nicht hin zu ihm. Er liegt da ganz friedlich und du könntest dich jetzt nähern und … und… und…“
„Dieses Arschloch von einem Aufsteller!“ habe ich gedacht. Ich zahle doch nicht Hunderte von Euro, um mich jetzt hier belächeln zu lassen! Ich werde doch zu so einem Täter nicht hingehen und in 5 Minuten die Aufstellung rocken! Ich werde vor allem natürlich nicht zulassen, dass sich jetzt in diesem scheinbar uneinfühlsamen Setting der Onkel doch nicht als Bösewicht zeigt!
Der Aufstellungsleiter setzte noch „eins drauf“: „Weißt du, dein Onkel könnte ja jemand gewesen sein, den niemand im System gemocht hat. Und du als Kind hast das bloß wahrgenommen und dir dann eine Geschichte dazu ausgedacht.“
Weißt du, dein Onkel könnte ja jemand gewesen sein, den niemand im System gemocht hat.
Und du als Kind hast das bloß wahrgenommen und dir dann eine Geschichte dazu ausgedacht.
Peter Orban (mein Aufstellungsleiter)
Ich wurde immer empörter! Diesen Onkel nicht zu mögen, das war tabu in der Familie. Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, außer mir würde diesen Menschen noch jemand ablehnen in meinem System. Nie im Leben hatte ich mir mal überlegt, dass meine Familie eine dissoziierte Gruppe von Kriegstraumatisierten sein könnte, die das Leben in dissoziierter Art und Weise auf Sparflamme leben und alte „Geschichten“ tabuisieren und einfach ausblenden. Wo Liebe und Anerkennung Theater und Scharade ist.
Es gibt die Möglichkeit – gerade bei therapieerfahrenen Klienten - , den Klienten mit seinen eigenen Glaubenssätzen zu überfrachten und somit den „kritischen Beobachter“, also den Verstand des Klienten, „auszuschalten“. Denn meine Glaubenssätze wurden so übertrieben oder umgedreht, dass mein Kopf nicht mehr hinterherkam. Wütend und schnaufend, mich schämend, ging ich zu diesem Stellvertreter, der meinen Onkel darstellte. Ich legte mich dazu und ich hätte mich übergeben können dabei.
Und mein Aufstellungsleiter war noch nicht fertig mit seinen Sprüchen. Während ich da lag, behauptete er, ich würde gleich wieder aufstehen wollen und dabei sei der Onkel doch so nett. Er sei hier in der Familie vermutlich das Opfer und und und…
Es gibt im NLP (neuro-linguistischen Programmieren, eine Art Hypnose) den Begriff des Gegenbeispielsortierers. Das sind Menschen, die sehr gut überlegen, bevor sie antworten oder bevor sie ihre Meinung äußern. Und weil alles bis ins Letzte durchdacht ist, sind Gegenbeispielsortierer oft unfähig, einfach zu einem Thema zu sagen: „Ja, so ist es.“ Sondern sie sagen zu allen Themen: „Nein, das kann man auch anders sehen.“
Sie sind also chronische „Nein-Sager“.
Ich bin natürlich Gegenbeispielsortierer.
Ob mein Aufstellungsleiter NLP kennt, weiß ich nicht. Aber ein erfahrener Aufstellungsleiter weiß schon meistens sehr gut, wie jemand „tickt“. Mit den ganzen Behauptungen, dass ich ja überhaupt keine Ahnung hätte von meinem eigenen Familiensystem und dazu noch seltsame Annahmen über meinen Onkel im Speziellen als Kopfgeburten zum Thema machte, trieb er mich in Nullkommanichts durch die Aufstellung. Nicht wenige waren empört und überrascht – wie ich.
Ich fiel auch nach meiner Aufstellung zurück in mein ewiges Urteilen, Nachdenken und auch in meine Opferrolle. Am schlimmsten tat ich mir selber weh, indem ich die Aufstellung „abschreiben“ wollte als Aufstellung, in der mein Aufstellungsleiter mich nicht ernst genommen hätte.
Diese Geschichte habe ich – so wie ich es ja immer noch gerne tue – von allen möglichen Perspektiven betrachtet und durchdacht.
Selbstverständlich konnte ich nicht nachvollziehen, welche Motive mein Aufstellungsleiter mit seinen unsensiblen Behauptungen verfolgte. Und er wollte dazu auch im Nachhinein nichts sagen.
Aber ich war ja wirklich „therapie-erfahren“.
Ich hatte mir übrigens in der Zeit eigener Traumatherapien und während meiner Ausbildung zur Therpaeutin übrigens einen neuen Glaubenssatz erarbeitet:
Es gibt keine schlechten Therapeuten.
Dieser Glaubenssatz ist natürlich auf der rationalen Ebene etwas verwirrend. Aber ich hatte mir mal mit meinem Verstand durchgespielt, welche Therapien denn am wirksamsten gewesen waren für mich. Vertrauen war dabei ein sehr wichtiger Faktor. Vertrauen in mich!
Wenn ich vertraute, dann – und eigentlich nur dann – konnte alles wirken. Und zwar nicht nur das, was der Therapeut sagte oder tat, sondern es wirkte alles: Ob es heiß war oder kalt. Ob jemand etwas gesagt hatte oder getan oder nicht. Ob ich an dem Tag lieber allein hätte sein wollen und gegen wen ich eine Aversion empfunden hatte oder ob ich an dem Tag ganz in der Gemeinschaft aufgegangen war. Ob ich mich so oder anders gefühlt hatte. Alles wirkte und ich pickte mir immer die Wirkungen heraus, von denen ich wollte, dass sie eintreten:
- Wenn ein Aufstellungsleiter mir sagt, mein Problem ist unwichtig, aber dann eine Aufstellung trotzdem macht, obwohl ich weiß, dass er bei oberflächlichen Anliegen normalerweise keine Aufstellung beginnt und den Klienten nach Hause schickt, dann nehme ich mir als Deutung diejenige, die mir hilft: Die Aufstellung war wichtig. Die Aufstellung hatte Gewicht. Worte und Taten, die mich geärgert hatten, richteten sich an mein Ego. Aber es geschahen alle Dinge, die ich brauchte. Es war einfach nur nicht so angenehm gewesen für mein Ego.
- Wenn ein Aufstellungsleiter mir sagt, er weiß nicht mehr, was er im Einzelnen gesagt hat zu mir und mein Verstand sich fragt, wieso er das jetzt vergessen haben sollte und ob er mir nur ausweicht, dann nehme ich die Deutung: Ob er es vergessen hat oder nicht, dieser Aufstellungsleiter bespricht seine Aufstellung nicht mit mir. Das mag wichtige oder nichtige Gründe haben, es ist jedenfalls gut für mich. Denn wenn ich mich hier beschweren könnte über unsensible Behauptungen und eine für mich beschämend wirkende Behandlung, dann würde ich mit Höchstgeschwindigkeit alles Erreichte degradieren und alles, was sich im Unterbewussten abgespielt hat, wieder zum Stillstand bringen oder sogar in den unguten Ursprungszustand vor der Aufstellung zurückbringen. Also: Ego und Scham ertragen. Aufstellung war trotzdem wirksam.
- Wenn ein Aufsteller mit mir irgendetwas macht, was ich nicht will, dann gibt es natürlich Grenzen. Aber er hat dennoch als „guter Aufsteller“ die Pflicht, mich voranzubringen. Waren denn Grenzen verletzt worden, die ich gebraucht hatte? Manche schon. Sich vor der Gruppe als Dummerchen abkanzeln zu lassen, ist eine meiner Urängste. Andererseits: Wollte ich diese Angst denn behalten? Was wäre denn, wenn ich mal ausprobieren würde, mit dieser Grenzverletzung zu leben?
Ich habe nie wieder eine Aufstellung mit meinem Onkel gebraucht. Auf der rationelen Ebene weiß ich oft nicht, wieso nicht. Immer wieder schiebt sich mein Ego nach vorne und plappert drauflos, ich hätte mich wehren müssen und wenn ich das nicht kann, dann bin ich noch sehr weit davon entfernt, aus der Opferrolle auszusteigen. Bla bla bla.
Kann man so sehen. Kann man aber auch anders sehen.
Ein Lehrer von mir zitiert immer etwas, was ein Rabbi mal zu ihm gesagt haben soll. Er sagt: „Musst du gucken von richtige Richtung!“
Musst du gucken von richtige Richtung.
ein Rabbi